Flat Preloader Icon

White Cube Jesus

Nipple Jesus: A. Mitterer, V. Kropf, J. T. Byrd, Foto: Stefan Schweiger

Nipple Jesus: A. Mitterer, V. Kropf, Foto: Stefan Schweiger

White Cube Jesus

Der White Cube war eine zentrale Forderung der Moderne und die unerlöste Gegenwart hält weiterhin daran fest. Jedes Museum und jede Galerie ist dem Prinzip nach ein White Cube, wobei dieser weiße Kubus natürlich niemals weiß genug ist und gar nie weiß genug sein kann, weil die makellose Reinheit und damit Erlösung in die Unendlichkeit hinein verschoben ist. Der White Cube ist vom allerersten Entwurf an als Utopie ausgelegt. In Nick Hornby’s „NippleJesus“ ist ein Museum Handlungsort und Referenzraum, die einzige Figur des Stückes ein Museumswärter, ein Bewacher und zugleich Gefangener dieses Sehnsuchtsortes. Folgerichtig hat Sonja Gangl für die Inszenierung des Stückes einen White Cube in die Burgkapelle gestellt, wobei sie dies nicht als Bühnenbildnerin, sondern als bildende Künstlerin tut. Was einen großen Unterschied macht. Zwar funktioniert der White Cube für die Aufführung des Stückes als Bühnenbild, er entstammt jedoch der bildenden Kunst und das in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist er in seiner Funktion als Präsentationsmedium Podest, Rahmen, Rahmung und Bedeutungsgeber eines bildnerischen Werks, zum anderen, als Ding an sich, ist er selbst ein Werk der bildenden Kunst, eben ein Objekt in Form eines weißen, kalten Kubus. In die bekannte Schnittmenge von Kirche und Theater schleust Sonja Gangl über den Umweg des Bühnenbilds die bildende Kunst ein und installiert damit eine Zeichenschleuder, von der im ersten Augenblick niemand sagen kann, wohin sie alle ihre Zeichen schleudert und was diese Zeichen genau bezeichnen. Als Reaktion darauf meint man, nach Grenzen suchen zu müssen. Wo endet die Kirche und beginnt das Theater, wo endet das Bühnenbild und beginnt die bildende Kunst? Lohnender ist es jedoch, sich dem Spiel mit der Vermischung der Kunstgattungen zu überlassen und sich wie ein auf den Wellen tanzender Flaschenkorken einmal in die eine und dann wieder in die andere Himmelsrichtung der Ausdeutung unserer Gegenwart treiben zu lassen. Der barocke Kirchenraum erscheint auf den ersten Blick als der größtmögliche Gegensatz zum White Cube, doch das ist er nicht. Er ist vielmehr eine Analogie. Während sich im Kirchenraum alles um das Versprechen der Auferstehung dreht, wird im weißen Kasten der Erkenntnis auf nüchterne Weise die Kunst heilig gesprochen. Jeder Gegenstand, der die Schwelle zum White Cube übertritt, verlässt diesen nur mehr als Kunstwerk. So wie auch jeder, der eine Kirche betritt, dem Selbstverständnis der Kirche nach diesen Ort wieder als anderer Mensch verlässt. Der White Cube kann als Tempel gesehen werden, den wir regelmäßig betreten, um nach etwas zu suchen, wovon wir nicht wissen, was es sein könnte. Würde Jesus diesen Tempel besuchen, würde er auch hier die Geldwechsler der einfachen und schnellen Wahrheiten vertreiben. Zwar hat sich die Moderne diesen Ort als Religionsersatz ausgedacht, aber eigentlich profitieren wir mehr davon, wenn wir ihn frei von ewigen Wahrheiten halten. Es muss ein Raum der Fragen und nicht der Antworten sein.

Robert Woelfl